Ruprecht Polenz

Rede von Ruprecht Polenz zum Antrag der Fraktion Die Linke gegen die Entsendung einer Quick Reaction Force nach Afghanistan vom 20. Februar

Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Zurzeit wird die eine oder andere Überlegung angestellt, ob und unter welchen Voraussetzungen man vielleicht mit der Fraktion Die Linke koalieren könne. Ich kann allen, die solche Überlegungen anstellen, nur raten, dem Antrag nicht zuzustimmen, über den wir heute debattieren; denn dieser Antrag zeigt die völlige Unfähigkeit der Fraktion Die Linke, Sicherheitsvorsorge für Deutschland zu betreiben, international Verantwortung zu übernehmen und Bündnissolidarität zu wahren.
Warum ist das so? Die Linke beantragt, dass der Deutsche Bundestag ablehnen soll, dass deutsche Soldaten eine Aufgabe übernehmen, die seit 2005 norwegische Soldaten ausgeführt haben. Die norwegischen Soldaten haben dies unter deutschem Kommando getan.
Wie wollen Sie, Herr Gehrcke, das in Oslo erklären?
Wie wollen Sie, wenn Sie schon dort wären, die Passage in Ihrem Antrag erklären, Norwegen habe durch die Stellung der Quick Reaction Force gegen alle Regeln des Völkerrechts verstoßen? Das ist das, was Sie hier behaupten.
Was Deutschland jetzt mit der Übernahme der Quick Reaction Force macht, ist exakt dasselbe, was Norwegen bisher gemacht hat. Der Auftrag der Quick Reaction Force bleibt unverändert und ist im Übrigen ein völlig anderer, als Sie es in Ihrem Antrag, den Sie über alle möglichen Medien, angefangen vom Neuen Deutschland, vertreiben, darlegen. Es geht um Patrouilleneinsatz, es geht um die Absicherung etwa von öffentlichen Veranstaltungen oder von Konvois, es geht um den Einsatz gegen gewaltbereite Menschenmengen, und es geht um Evakuierungsoperationen, beispielsweise von Vertretern der ISAF oder der internationalen Gemeinschaft. Hier zeigt sich beispielhaft Ihre Unfähigkeit zur Solidarität; denn evakuiert werden müssen könnten möglicherweise auch zivile Entwicklungshelfer, wenn sie in Gefahr geraten. Sie aber sagen: Seht einmal zu, wie ihr da selber herauskommt. Es geht bei der Quick Reaction Force um Zugriffs- und Durchsuchungsoperationen. Außerdem soll sie eine taktische Reserve sein. Und es geht auch gemeinsam mit afghanischen Streitkräften und afghanischen Sicherheitskräften um offensive Operationen gegen militante, bewaffnete Aufständische. Auch das ist eine Frage der Solidarität; denn wir sind in Afghanistan, und der ISAF-Einsatz heißt, dass wir den Afghanen, auch den afghanischen Sicherheitskräften, helfen, Sicherheit herzustellen. Das ist der Auftrag.
Sie beschreiben in Ihrem Antrag eine Situation, die sich ausweislich der norwegischen Erfahrungen überhaupt nicht so darstellt. Norwegen hat im Jahr 2007 26 Einsätze in der Quick Reaction Force durchgeführt. In der Regel waren etwa 70 Soldaten daran beteiligt. Es handelte sich überwiegend um Aufgaben der Absicherung der Provincial Reconstruction Teams, die bekanntlich der zivil-militärischen Zusammenarbeit dienen, der Absicherung von Konvois oder beispielsweise der Absicherung von Veranstaltungen wie der Eröffnung der neuen Brücke, die über den tadschikisch-afghanischen Grenzfluss Piandsch führt, im August 2007. Die Absicherung war bei der Einweihung der Brücke erforderlich, weil dort hochrangiges Publikum anwesend war.
Dann gab es – darüber haben wir hier schon gesprochen – im Grenzgebiet zwischen der Nord- und der Westregion die Operation Yolo-2. Dabei ist es zu vereinzelten Kampfhandlungen der afghanischen Sicherheitskräfte und der norwegischen Quick Reaction Force gegen bewaffnete Aufständische gekommen. Es hat bisher keinen Einsatz im Süden und auch keinen im Osten gegeben. Norwegen hatte bisher auch – wir hoffen natürlich alle, dass das so bleibt – keine Verluste durch das Stellen der Quick Reaction Force.
Die Quick Reaction Force ist seit 2005 Bestandteil der ISAF im Norden. Das ISAF-Mandat enthält die Berechtigung zur Selbstverteidigung und Nothilfe, die Berechtigung, zur Durchsetzung des Auftrags auch militärische Gewalt einzusetzen. Es ist natürlich offensichtlich, dass der Einsatz militärischer Gewalt, insbesondere der Schusswaffengebrauch, auch zur Tötung von Angreifern und Gegnern führen kann. Das ist richtig. Aber Sie verschweigen, dass nach den Aussagen des Verteidigungsministers der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer zu beachten ist. Das heißt, dass der Einsatz tödlicher Gewalt dann eingeschränkt ist, wenn es mildere Mittel gibt, die mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden können. Die Quick Reaction Force ist also ein Teil von ISAF und stellt wie ISAF insgesamt die Voraussetzungen für die Sicherheit her, die für den zivilen Wiederaufbau erforderlich ist. Sie ist beispielsweise erforderlich, damit die Überlandleitung aus Usbekistan über Masar-i-Scharif nach Kabul fertiggestellt werden kann. Dort wird Strom über 460 Kilometer transportiert. 200 000 Menschen werden durch diese Stromleitung an das Elektrizitätsnetz angeschlossen werden. Ohne die Quick Reaction Force, ohne die ISAF ist das nicht sicher zu gewährleisten.
Auch die Umsetzung des Aufbauprogramms für den afghanischen Mittelstand, für Handwerker, für die Landwirtschaft – bisher sind insgesamt etwa 15 000 Männer und Frauen trainiert worden –, ist ohne ein einigermaßen sicheres Umfeld nicht zu gewährleisten.
Die Lehrerausbildung in den Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan, in denen 15 Referenzschulen aufgebaut und inzwischen 8 000 Lehrer ausgebildet worden sind, ist ohne ISAF und die Quick Reaction Force nicht durchführbar. Auch für das Entwickeln einer legalen Einkommensalternative zum Drogenanbau, etwa durch Unterstützung von Viehwirtschaft, Bienenzucht oder Obstplantagen, ist diese Absicherung notwendig.
Allein im Norden Afghanistans, für den Deutschland eine besondere Verantwortung trägt, sind inzwischen 70 Schulen neu gebaut bzw. wieder errichtet worden, 20 Brücken, 40 Gesundheitsstationen mit Trinkwasser- und Bewässerungsanlagen sind in 30 Dörfern wieder hergestellt oder neu eingerichtet worden. 10 000 zurückkehrende Flüchtlinge sind unterstützt worden.
All das, Herr Gehrcke, war nur möglich, weil ISAF im Norden ein vergleichsweise sicheres Umfeld geschaffen hat. Damit der ISAF-Einsatz mit unseren wenigen Truppen, die im Norden stationiert sind, wirksam organisiert werden kann, ist diese spezielle Ausprägung der Quick Reaction Force notwendig. So wird ein Schuh daraus. Wenn Sie sich dieser Notwendigkeit verweigern, wenn die Linke die Quick Reaction Force ablehnt, dann stellen Sie zum einen die ISAF insgesamt infrage bzw. lehnen sie ab – aber das tun Sie ja sowieso –, aber zum anderen gefährden Sie gleichzeitig – und das sagen Sie so nicht – den Wiederaufbau Afghanistans. Sie provozieren damit die Rückkehr der Taliban und al-Qaidas.
Damit gefährden Sie auch die Sicherheit in Deutschland. Das ist die Konsequenz Ihres Antrags, wenn man Ihn zu Ende denkt.
Deshalb weise ich noch einmal darauf hin: Jeder, der meint, er könne mit Ihnen verantwortlich zusammenarbeiten – etwa koalieren –, der sollte sich diesen Antrag gut aufheben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.