Ruprecht Polenz

Rede von Ruprecht Polenz zur Debatte über Parlamentswahlen im Iran vom 06. März 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beschäftigen uns mit den Parlamentswahlen im Iran, weil der Iran ein großes, ein wichtiges Land ist und weil er reich an Bodenschätzen ist. Er hat eine gebildete, gut ausgebildete Bevölkerung und eine reiche Kultur. Der Iran kann auf eine jahrtausendealte Geschichte zurückblicken. Er könnte auch ein blühendes Land sein. Aber er wird weit unter Wert regiert.
Dass wir unsere Auseinandersetzung mit dem Iran auf sein Nuklearprogramm fokussieren, führt dazu, dass wir uns zu wenig mit den inneren Entwicklungen im Iran beschäftigen und ihnen zu wenig Aufmerksamkeit widmen. Die heutige Debatte sollte auch dazu dienen, das zu ändern.
Weil die Regierung im Iran unter normalen demokratischen Bedingungen ihre Abwahl fürchten müsste, setzt sie im Vorfeld der Parlamentswahl in zunehmendem Maße Repressionen und massive Manipulationen ein. Das hat übrigens auch im Iran selbst scharfe Kritik zur Folge. Beispielsweise kritisierten der frühere Präsident Chatami und der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des iranischen Parlaments, Rohani, diese Entwicklung sehr scharf.
Ich will an ein paar Beispielen aufzeigen, wie schlecht und wie weit unter Wert der Iran regiert wird. Fangen wir mit der Wirtschaft an: Der Iran ist reich an Öl und Gas. Der Erdölpreis ist seit dem Amtsantritt von Ahmadinedschad 2005 von etwa 62 US-Dollar pro Fass auf über 100 US-Dollar pro Fass gestiegen. Die Erlöse, die der Iran als großer Ölexporteur erzielt, haben sich von 34 Milliarden US-Dollar auf 41,7 Milliarden US-Dollar gesteigert. Allerdings – das ist der erste Kritikpunkt, und das wird auch im Iran so gesehen – liegt die Förderung mit 4,2 Millionen Fass am Tag auch fast 30 Jahre nach der Islamischen Revolution bei nur zwei Dritteln dessen, was der Iran früher hat fördern können. Man bleibt also weit unter seinen Möglichkeiten. So gibt es trotz steigender Öl- und Gaspreise eine wachsende Armut im Land, gerade bei den kleinen Leuten.
Das liegt auch daran, dass das Geld, das eingenommen wird, in Subventionsprogrammen verpulvert wird. Ich will von den vielen sinnlosen Subventionen nur eine erwähnen: Für Strom zahlen die Verbraucher im Iran nur 40 Prozent des Gestehungspreises. Das führt zu Energieverschwendung, mit der Folge, dass Investitionen erforderlich sind, die man vermeiden könnte. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle.
Diese Politik führt zu einer galoppierenden Inflation: Sie betrug im Jahre 2005 12,1 Prozent. Heute liegt sie bei 19 Prozent. Gerade die explodierenden Mieten treffen die einfachen Leute im Iran. Was macht der Präsident? Er ordnet an, dass die Bankzinsen von 17 auf 12 Prozent zu senken sind. Das festigt die Überzeugung der Leute, dass allein Immobilien eine sichere Geldanlage sind. Das heizt die Inflation zusätzlich an.
Last, but not least steigt die schon jetzt außerordentlich hohe Arbeitslosigkeit im Iran. Die offizielle Arbeitslosenquote – diese Zahl ist sicherlich weit zu niedrig angesetzt – liegt bei 11 Prozent. Für die Jugendarbeitslosigkeit werden 23 Prozent angegeben. Auch diese Zahl dürfte wesentlich höher liegen. Das heißt, dass im Iran eine Million junge Menschen, die ihre Ausbildungsstätten verlassen, in die Arbeitslosigkeit gehen.
Auch die immer wieder angemahnte Privatisierung der Wirtschaft kommt nicht voran. Man muss wissen, dass im Iran 65 bis 80 Prozent der Wirtschaft – das ist vielleicht ein Hinweis an die Linkspartei – von den verschiedenen Armen des Staates kontrolliert werden, mit dem bekannten Misserfolg. Vielleicht, Herr Gehrcke, können Sie sich ähnliche Überlegungen für Deutschland sparen.
Natürlich gibt es angesichts dieser Entwicklung Protest in der Bevölkerung, zum Beispiel von den Gewerkschaften. So gab es einen Busfahrerstreik in Teheran. Der Staat hat sehr hart reagiert. Mansour Ossanlu, der Vorsitzende der Gewerkschaft, ist seitdem mehrfach inhaftiert worden und sitzt seit 2007 erneut im Evin-Gefängnis. Man verweigert ihm die medizinische Betreuung. Ich finde, wir müssen in unserer Debatte auf solche Schicksale hinweisen. Gewerkschaftsfreiheiten sind Freiheiten, die wir ernst nehmen.
Es gibt Frauenrechtlerinnen, die für die rechtliche Gleichstellung der Frau im Iran 1 Million Unterschriften sammeln wollen. Sie haben sich eine ähnliche Bewegung in Marokko zum Vorbild genommen, wo es den Frauen gelungen ist, den marokkanischen König, Hassan II., durch eine solche Unterschriftenaktion zu überzeugen. Im Iran läuft das anders: Mehrere hundert Frauen sind ins Gefängnis gesteckt worden. Nasim Sarabandi und Fatemeh Dehdashti sind, weil sie sich für die rechtliche Gleichstellung der Frau im Iran eingesetzt haben, wegen „Handlungen gegen die nationale Sicherheit mittels Propaganda gegen das Regime“ zu sechs Monaten Haft – zurzeit zur Bewährung ausgesetzt – verurteilt worden.
Auch in dieser Parlamentsdebatte muss an das Schicksal der Bahai erinnert werden. Gerade ist im iranischen Parlament ein Gesetzentwurf zur Novellierung des Strafrechts vorgelegt worden, mit dem die Apostasie, der Abfall vom „richtigen“ Glauben, in den Katalog der sogenannten Hadd-Strafen aufgenommen werden soll. Das bedeutet die Todesstrafe für Konvertiten, und zwar zwingend, ohne irgendeine Möglichkeit der Revision.
Wer weiß, dass die Bahai aus iranischer Sicht als Apostaten angesehen werden, kann sich vorstellen, welcher Druck auf diese Religionsgemeinschaft ausgeübt wird. Vor kurzem sind 53 junge Bahai festgenommen worden – sie sind zum Teil immer noch in Haft –, weil sie ein soziales Projekt zur Bildungsförderung ehrenamtlich betreut haben. Wenn das neue Gesetz in Kraft treten sollte, müssten sie das Schlimmste befürchten.
Zu dem Bild einer Verschärfung der religiös begründeten Strafen bis hin zur Todesstrafe passt auch, dass rund um Teheran zunehmend Koranschulen entstehen, die es, anders als in Pakistan, im Iran bisher nicht gab.
Alles zusammengenommen ist die Sorge, die auch im Iran geäußert wird, dass aus der Islamischen Republik Iran ein islamisches Kalifat Iran werden soll, nur allzu begründet. Auch das muss hier festgestellt werden.
Wenn es um den Iran geht, haben wir uns in der Regel mit der Außenpolitik dieses Landes beschäftigt. Ich will heute ausdrücklich darauf verzichten und nur darauf hinweisen, dass der außenpolitische Konfrontationskurs, den das Land verfolgt, vom innenpolitischen Versagen ablenken soll. Er soll die Verschärfung der Repressionen rechtfertigen. Damit will man den Druck erhöhen, sich hinter der Regierung gegen das Ausland zusammenzuscharen, das man nur konfrontativ wahrnehmen will.
Der Protest und der Reformbedarf werden bei Wahlen unterdrückt. Ich kann den Optimismus meiner Vorredner in diesem Punkt nicht ganz teilen; denn durch die Kandidatenauswahl ist das Ergebnis vorprogrammiert. Man darf nicht nur die absoluten Zahlen – von 5 538 Kandidaten wurden 2 059 zur Wahl zugelassen – sehen. Selbst wenn alle Reformkandidaten gewählt würden, könnten sie maximal 60 der 270 Sitze gewinnen. Denn in Wahlkreisen, in denen man nur einen Kandidaten wählen kann, werden viele Reformer als Kandidat zugelassen; in Wahlkreisen dagegen, in denen man mehr Sitze erreichen kann, wird oft kein einziger zugelassen. Damit kann man den Ausgang der Parlamentswahl vorprogrammieren, was auch geschehen ist. Das zeigt, dass es in der Frage, wer kandidieren darf, eine zentrale Planung gab und dass gegen die eigene Verfassung verstoßen wurde.
Wir werden sicherlich auch die Kontakte zu dem neuen iranischen Parlament weiter pflegen; dabei müssen wir aber noch stärker als bisher berücksichtigen, dass es für das Land nicht repräsentativ ist. Das ist nicht mehr möglich. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass wir bei den offiziellen Besuchsprogrammen breite Kontakte zur iranischen Zivilgesellschaft außerhalb des Parlaments bekommen. Der Iran könnte in der Tat ein blühendes Land sein, wenn er seiner Bevölkerung mehr Freiheit geben, die Frauen rechtlich gleichstellen und in der Außenpolitik seine Stärke aus der Zusammenarbeit gewinnen würde, statt durch Isolierung und Konfrontation geschwächt zu werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.