Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz im Interview mit der Märkischen Oderzeitung

In der Märkischen Oderzeitung vom 19. Mai 2008 äußert sich der CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, zum Besuch des Dalai Lama, zur Rolle Chinas in der Welt und zur Lage in Russland.
Wenige Menschen erregen so viel Aufmerksamkeit wie das geistliche Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama. In seinen Weltreisen für eine Autonomie seiner Region weilt er gerade in Deutschland. Heute trifft er den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz. STEFAN KEGEL sprach mit dem CDU-Politiker.

Märkische Oderzeitung: Es gibt viele Gegenden in der Welt, die eine Unabhängigkeit anstreben. Tibet erweckt jedoch immer ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit. Woran liegt das?
Ruprecht Polenz: Ich habe mich das auch schon gefragt. Ich glaube, es gibt so etwas wie eine weltweite Vorstellung vom Dach der Welt – der Region mit den höchsten Bergen –, und deshalb ist Tibet für die ganze Welt etwas Besonderes. Dass es für China eine besondere strategische Bedeutung im Hinblick auf Indien hat, macht die Region zusätzlich bedeutsam.

Ist Tibet nicht vor allem ein Symbol für den gewaltlosen Kampf gegen ein autokratisches Regime?
R.P.: Der Dalai Lama legt Wert darauf, dass die Forderung nicht eine Unabhängigkeit aus dem chinesischen Staatsverbund beinhaltet, sondern er setzt sich auf gewaltlose Weise für kulturelle und religiöse Selbstbestimmung der Tibeter und gegen die Überfremdungspolitik ein – die massive Ansiedlung von Han-Chinesen in der tibetischen Region. Und er prangert Verletzungen der Menschenrechte an.

Darüber gibt es jetzt Gespräche zwischen Peking und dem Dalai Lama. Glauben Sie, dass die nach den Olympischen Spielen in Peking noch Bestand haben werden?
R.P.: Dafür würde ich gern die Einschätzung des Dalai Lama hören. Ich habe auch dem chinesischen Botschafter signalisiert, dass wir uns dafür interessieren, wie China diese Gespräche beurteilt. Wir als Bundestagsausschuss hoffen jedenfalls, dass der Dialog zu einem Erfolg führt. Nach meinem Eindruck ist das Parlament in der Tibet-Politik außerordentlich einig.

Welche Art Politik sollte der Westen gegenüber China anstreben? Es hat ja alles schon mal gegeben: Sanktionen, Gespräche, Drohungen …
R.P.: Als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat mit Vetorecht ist China in vielen internationalen Fragen ein wichtiger Mitspieler. Diese Rolle nimmt es etwa im Hinblick auf das iranische Nuklearprogramm vergleichsweise konstruktiv wahr. Kritischer muss man sehen, wie China seine Rohstoff-Sicherungspolitik, vor allem im Energiebereich, betreibt – auch mit Regimen.

Sie sprechen Afrika an …
R.P.: Afrika, ja. Aber auch Birma. Die dortige Junta ist politisch stark von Peking abhängig. Das bringt eine Mitverantwortung für China mit sich. Die zynische Weigerung, nach dem Zyklon Hilfsgüter ins Land zu lassen, kann sich die Junta nur erlauben, weil sie sich der Rückendeckung Chinas sicher fühlt.

Mit seiner wachsenden Wirtschaftsmacht kann es sich Peking immer stärker leisten, auf den internationalen Einfluss zu pfeifen. Was kann westliche Diplomatie überhaupt noch erreichen?
R.P.: China ist sein Ansehen in der Welt nicht gleichgültig. Zudem ist die wirtschaftliche Abhängigkeit in vielen Fällen gegenseitig. China weiß, dass sein Volk vom Aufschwung nur profitiert, wenn er auf festen Wirtschaftsbeziehungen, etwa mit Europa, beruht. Wir sollten versuchen, China in die weltwirtschaftlichen Verflechtungen zu integrieren. Gleichzeitig sollten wir unsere Sorgen wegen bestimmter innerer Entwicklungen freimütig äußern. Es wäre falsch, aus lauter Sorge um irgendeinen Kontrakt menschenrechtlich leisetreterisch zu werden.

Was nicht einfach ist, wenn Herr Sarkozy, wie kürzlich in Libyen, schon daneben steht und mit einem Scheck wedelt. Es herrscht ja nicht einmal in der westlichen Staatengemeinschaft Einigkeit darüber, mit welchen Partnern man demokratisch vertretbar Geschäfte machen darf.
R.P.: Man darf bei allem Erstaunen über manche Akzente des französischen Präsidenten nicht übersehen, dass er geholfen hat, den Lissabon-Vertrag der EU unter Dach und Fach zu bringen und dass er Frankreich wieder in die Nato führen will. Das sind eher Beispiele einer multilateralen Vernetzung als weiterer Alleingänge. Ich halte allerdings einige Elemente seiner Libyen-Politik für höchst problematisch, etwa die Lieferung von Waffen und eines Kernkraftwerks. Was China betrifft: Hier ist die EU aufgefordert, zu einer gemeinsamen Politik zu finden.

Weiten wir mal den Blick. China als Beispiel eines Regimes ist genauso sagenhaft wirtschaftlich erfolgreich wie das inzwischen ähnlich autokratisch regierte Russland. Wie lange kann sich der Westen denn noch leisten, mit Menschenrechtsfragen dagegenzuhalten ?
R.P.: Die These geht ja dahin, dass es durch diese Staaten eine Art Konkurrenzmodell zur Demokratie gäbe, vor allen Dingen, wenn diese Staaten wirtschaftlich erfolgreicher seien. Im 21. Jahrhundert, wo wirtschaftlicher Fortschritt eng verbunden ist mit den Begriffen Innovation und Nutzung moderner Technologien, kommt es auf Kreativität an. Und Kreativität ohne Freiheit ist aus meiner Sicht nicht denkbar. Von daher werden autokratische Regime auch in der Wirtschaftskraft an Grenzen stoßen. Die können sie nur überwinden, wenn sie auch Freiheiten zulassen, und die lassen sich nicht nur auf die Handels- und Wirtschaftsfreiheit beschränken, sondern erfassen auch das politische System.

China erhielt vergangenes Jahr deutsche Entwicklungshilfe von 67,5 Millionen Euro. Ist das wirklich notwendig, bei dem Wirtschaftswachstum, das das Land hat?
R.P.: Die Befürworter verweisen auf die Art der Projekte, wie Armutsbekämpfung, Gesundheit oder Umwelt. Letzteres liegt durchaus im weltweiten Interesse. Ich bin nicht dafür, durch einen abrupten Stopp Reaktionen auszulösen, die nicht gewollt sind. Denn wir wollen mit China gut zusammenarbeiten und bei einer guten Entwicklung helfen. Es spricht allerdings einiges dafür zu prüfen, ob und welche neuen Projekte man anfängt.

Kommen wir auf die Olympischen Spiele zurück. Halten Sie westlichen Protest, etwa einen Boykott, für sinnvoll?
R.P.: Ich habe nach den Tibet-Protesten einen Boykott für falsch gehalten. Allerdings will ich nicht ausschließen, dass man sich im Lichte der weiteren Entwicklung für solche Überlegungen öffnen müsste. Es gab diese martialische Sprache von der chinesischen Seite – Aufruf zum Volkskrieg, man müsse diese Elemente ausmerzen und Ähnliches. Das war eine Rhetorik, die an das Vorgehen auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 erinnerte. In einem solchen Kontext könnte ich mir zeitgleich stattfindende Olympische Spiele nicht vorstellen.