Am vergangenen Freitag, den 02. 02. 2007, ist im Deutschen Bundestag unter großer medialer Aufmerksamkeit die Gesundheitsreform verabschiedet worden. Ich habe der Reform trotz einiger Bedenken zugestimmt, weil ich von Ihrer Notwendigkeit überzeugt bin und möchte Sie im Folgenden über die Gründe informieren, die mich zu dieser Entscheidung bewogen haben.
Vorab:
Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen – niedergelassene Allgemeinmediziner und Fachärzte, Krankenhäuser, Apotheken, die pharmazeutische Industrie u.a. – haben höchst unterschiedliche Vorstellungen von der Gestaltung des Gesundheitssystems. Die Erwartung der Leistungsempfänger und Patienten ist eine hohe Leistungsfähigkeit bei gleich bleibenden oder sogar sinkenden Beiträgen. Letzteres ist schon aus demographischen Gründen nicht möglich: In einigen Jahren werden doppelt so viele Kranke wie heute von nur noch zwei Dritteln der heutigen Beitragszahler versorgt werden müssen.
Übergeordnetes Ziel unserer Politik ist es, ein leistungsfähiges Gesundheitswesen zu schaffen, das langfristig stabil ist und in Anbetracht demographischer Entwicklungen auch in Zukunft die medizinische Versorgung aller Bürger gewährleistet.
Die Union hatte dafür mit der solidarischen Gesundheitsprämie ein ordnungspolitisch überzeugendes und zukunftsverantwortliches Modell vorgelegt. Mit dem Koalitionspartner war dies nicht umzusetzen. Dennoch ist es uns gelungen, eine Reform auf den Weg zu bringen, die viele unserer Überzeugungen berücksichtigt und die weitaus besser ist, als die Proteste der Lobbyisten glauben machen.
Die aktuelle Situation im deutschen Gesundheitswesen ist alarmierend:
Lange Wartelisten, überfüllte Wartezimmer, zu wenig Ärzte im ländlichen Raum, fehlender Nachwuchs. Ärzte müssen immer mehr Patienten behandeln und haben immer weniger Zeit für den Einzelnen.
Hinzu kommen Intransparenz in der Leistungsabrechnung sowie Unklarheit über die Beitragsverwendung bei den Krankenkassen. Auch Kartellbildung auf Anbieter- und Kassenseite sind ein Problem. Dort, wo Transparenz und Wettbewerb fehlen, kann sich auch kein Bewusstsein für Kosten und Leistungen bilden.
Überdies gibt es immer mehr Menschen ohne Versicherungsschutz. Auf der anderen Seite gibt es Anzeichen einer Entsolidarisierung in einer dank medizinischen Fortschritts alternden Gesellschaft.
Deshalb musste gehandelt werden.
Ich habe der Gesundheitsreform zugestimmt, denn die Patienten erhalten mehr Wahlfreiheit und zusätzliche Leistungen.
Diese Gesundheitsreform ist die erste, bei der den Patienten mehr Leistungen zukommen als vorher und es keine neuen oder höheren Zuzahlungen gibt. Es gibt keine Einschnitte in den Leistungskatalog, vielmehr sind Leistungen von bisherigen Ermessens- zu Pflichtleistungen hochgestuft worden. Dazu zählt neben verschiedenen Impf- und Reha-Leistungen auch eine Verbesserung der medizinischen Versorgung in den letzten Lebenstagen, wie z.B. eine Schmerztherapie.
Eine entscheidende Verbesserung für die Patienten ist auch die Erweiterung der Wahlmöglichkeiten für Versicherte. Selbstbehalttarife für Pflichtversicherte gibt es bislang in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Diese sind jetzt ebenso möglich wie ein Wahltarif, der Kostenerstattung vorsieht. Beide Tarife können miteinander kombiniert werden. Darüber hinaus können Krankenkassen auch Tarife anbieten, in denen die Übernahme der Kosten für homöopathische oder anthroposophische Arzneimittel vorgesehen ist, deren Erstattung heute nicht von den Kassen übernommen wird. Versicherte könnten ferner Vorsorge und Rehabilitationseinrichtungen selbst auswählen, die entsprechend zertifiziert sind. Die Freiheit der Versicherten wird damit größer.
Zudem wird über die Kombination von einheitlichem Beitrag und kassenindividuellem Zusatzbeitrag mehr Transparenz über Angebot und Preise für die Leistungen der Kassen geschaffen. Versicherte können künftig besser vergleichen, ob ihre Kasse für den Zusatzbeitrag eine bessere medizinische Versorgung anbietet. Damit wird den Kassen ein Anreiz gegeben, über gutes Versorgungsmanagement attraktive Angebote zu machen und nicht mehr ausschließlich in Werbung für „junge gesunde Gutverdiener“ zu investieren. Die Versicherten wiederum werden sensibler für ihre individuellen Wahlentscheidungen.
Für die Ärzteschaft wird endlich die lange beklagte Budgetierung der ärztlichen Honorare beendet, die u.a. zu den genannten Problemen wie Wartelisten führte. Die künftige Vertragsgebührenordnung sieht eine leistungsgerechte Vergütung der ärztlichen Leistungen mit festen Euro-Preisen vor. Außerdem wird die Steigerung von Ausgaben aufgrund erhöhter Krankheitshäufigkeit der Versicherten, das so genannte Morbiditätsrisiko, von den Ärzten auf die Krankenkassen übertragen.
Auch der Wettbewerb in der Gesetzlichen Krankenversicherung wird ausgebaut: Kassen bekommen erweiterte Möglichkeiten mit einzelnen Leistungserbringern oder Gruppen von Leistungserbringern Hausarztverträge, Verträge zur Integrationsversorgung sowie zu besonderen Versorgungsformen abzuschließen. Darüber hinaus können die Kassen im Bereich der Hilfsmittel Ausschreibungen vornehmen und Rabattverträge mit pharmazeutischen Unternehmen schließen. Von diesem verstärkten Wettbewerb profitiert auch der Versicherte.
Die Union hat in dem Gesetz auch durchgesetzt, dass die Private Krankenversicherung als Vollversicherung erhalten bleibt. Außerdem sorgt das Gesetz mit der Einführung einer Pflicht zur Versicherung dafür, dass in Deutschland niemand mehr ohne Krankenversicherungsschutz ist.
Weiterhin leistet das Gesetz einen wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Durch die Definition eines einheitlichen Schuldenbegriffs sowie der Verpflichtung zum Aufbau eines Kapitalstocks für kommende Pensionsverpflichtungen der Krankenkassen bauen wir implizite wie explizite Schulden ab. Hierbei geht es um insgesamt fast 20 Milliarden Euro.
Nicht zuletzt ist es ein wichtiger Schritt, dass mit dem Gesundheitsfonds der Arbeitgeberbetrag temporär festgeschrieben wird und eine wachsende Steuersäule zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben eingeführt wird. Damit haben wir den geschafft. Das hilft dem Wirtschaftsstandort und den Arbeitsplätzen in Deutschland.
Der Gesundheitsfonds verkleinert den Verwaltungsapparat der Selbstverwaltung. Dazu reduzieren wir die Anzahl der Spitzenverbände der Krankenkassen und damit der zugehörigen Funktionärsgremien von sieben auf einen.
Das System bleibt dennoch weiterhin von der gemeinsamen Selbstverwaltung geprägt. Der Gemeinsame Bundesausschuss bleibt ehrenamtlich besetzt. Staatliche Eingriffe sind nur im Falle eines Versagens der Selbstverwaltung vorgesehen.
Durch den weiterhin dezentralen Beitragseinzug verbleibt der bürokratische Aufwand bei den Krankenkassen. Dies reduziert zwar zunächst das Einsparpotential, verhindert jedoch damit den Aufbau einer neuen Behörde. Sukzessive jedoch wird der Beitragseinzug - zum Vorteil der Arbeitgeber - zentral erfolgen. Das reduziert den Verwaltungsaufwand, was insbesondere im Interesse des Mittelstands ist.
Es ist eine Reform im Interesse der Patienten und Versicherten und nicht im Interesse von organisierten Gruppen und Lobbyisten. So paradox es klingen mag, gerade der Protest, der aus entgegen gesetzten Richtungen kommt und ganz unterschiedlich motiviert ist, zeigt, dass es ein in sich ausgewogenes Gesetz ist.