Ruprecht Polenz

Freiheit für Gilad Schalit

Ruprecht Polenz spricht im Deutschen Bundestag

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Freiheit für Gilad Schalit - ich denke, diese Forderung eint uns, die wir heute Abend im Plenum des Deutschen Bundestages sitzen. Deshalb möchte ich zur Sache sprechen. Als ich vor wenigen Wochen das letzte Mal in Jerusalem war, habe ich vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Netanjahu mehrere Zelte gesehen, in denen die Familie von Gilad Schalit mit Plakaten und Transparenten auf das Schicksal ihres Angehörigen aufmerksam macht. Es ist gerade noch einmal darauf hingewiesen worden, wie viele Israelis durch Poster, Buttons und Ähnliches an sein Schicksal erinnern. Ich glaube, dass dies der Hauptzweck unserer heutigen Debatte und der Entschließung ist, die wir verabschieden. Wir wollen deutlich machen: Sein Schicksal gerät auch nach über vier Jahren nicht in Vergessenheit. Wir schauen auf das, was in der Region passiert, und auch auf das, was mit einzelnen Personen geschieht. Wir schauen aber auch sehr genau auf die Praxis der Hamas.
Wir haben schon bei anderer Gelegenheit über die Frage diskutiert, wie wir mit der Hamas umgehen wollen. Da gab es relativ weitgehende Empfehlungen, sie quasi als Gesprächspartner wie jeden anderen zu behandeln, weil ohne die Hamas in der Region letztlich nichts zu erreichen sei. Deshalb möchte ich aus Anlass dieser Debatte schlaglichtartig beleuchten, wie es 2007 nach der gewaltsamen Machtergreifung durch die Hamas im Gazastreifen weitergegangen ist.

Es gab zunächst eine bürgerkriegsartige Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Kräften von Fatah und anderen. Als sich Hamas dann durchgesetzt hatte, hat sie - das gilt bis heute - eine sehr konsequente Gleichschaltungspolitik, so muss man es nennen, im Gazastreifen betrieben. Die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA, die noch den Mut hatte, über Korruptionsvorwürfe gegen die Hamas und gegen Hamas-Politiker zu berichten, wurde eingeschüchtert und unter Druck gesetzt.

Es gab eine schleichende Islamisierung. Hamas ist ja eine islamistische Organisation, die den Muslimbrüdern aus Ägypten entstammt. Die Bekleidungsvorschriften werden zunehmend rigoros durchgesetzt. In den Schulen, wo die Hamas Einfluss hat, aber auch in den UN-Schulen wird versucht, sicherzustellen, dass über den Holocaust nicht berichtet, darüber nicht gelehrt und nicht informiert wird. Die Organisationen der Zivilgesellschaft, die noch nicht unter der Kontrolle der Hamas stehen, werden gezwungen, so lange neue Mitglieder, die der Hamas angehören, aufzunehmen, bis man in der Lage ist, durch Mehrheitsbeschlüsse diese Gesellschaft zu übernehmen.

Generell basiert das Herrschaftssystem darauf, dass man die eigenen Anhänger hemmungslos begünstigt und alle anderen Palästinenser im Gazastreifen benachteiligt. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen haben deshalb die Popularität der Hamas, die stolz verkündet hatte, dass sie bei den Wahlen gewonnen hat, sehr stark gemindert. Wie sie heute bei Wahlen abschneiden würde, ist die entscheidende Frage.

Nun will die Hamas eine Rolle spielen. Es ist auch klar, unter welchen Bedingungen das möglich ist: keine Gewaltanwendung, Anerkennung der bisherigen Abkommen der PLO mit Israel und das ist damit eingeschlossen prinzipielle Anerkennung Israels staatlicher Existenz. Der Fall Shalit ist so etwas wie ein Lackmustest für die Anerkennung von Recht und Gesetz und des Völkerrechts auch des humanitären Völkerrechts durch die Hamas sowie für das Rechtsverständnis der Hamas und ihre Bereitschaft, sich internationalen Regeln zu unterwerfen.

Ichmöchte in dieser Debatte aber nicht nur auf das Schicksal von Gilad Shalit hinweisen. Ich möchte auch an Ron Arad erinnern, der bereits seit 1986 verschollen, verschwunden ist. Man weiß nicht genau, ob er noch lebt; es gibt Vermutungen, dass er noch lebt. Auch das ist ein Schicksal, an das man in dieser Debatte erinnern sollte.

Ein letztes Wort zu den Unterstützern der Hamas. Ich war bei meinem Besuch in Syrien mit der Nachricht dem Wunsch konfrontiert, dass Syrien sehr daran interessiert ist, auch auf höherer Ebene wieder diplomatisch mit Deutschland zu kommunizieren. Wahrscheinlich kommt der syrische Außenminister in Kürze nach Berlin. Ich will nur sagen: Syrien hätte eine Möglichkeit, hier beispielsweise durch Einflussnahme auf die Hamas ein Signal zu setzen und zu zeigen, dass es versteht, welche symbolische Bedeutung diese Frage hat, die mit dem einzelnen Schicksal dieses armen jungen Mannes verbunden ist. Ich möchte deshalb an dieser Stelle nicht nur die Hamas mit dem Appell „Freiheit für Gilad Shalit“ konfrontieren, sondern auch Syrien. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)