Ruprecht Polenz

„Die Entwicklung in Nahost muss von den Menschen selbst getragen werden“

Erstes Heringsessen am Aschermittwoch mit 80 Gästen beim Roten Kreuz: Experte Ruprecht Polenz schildert brandaktuell interessante Hintergründe zum Umbruch in Nordafrika

Aktueller hätte das Thema bei der Premiere nicht sein können: „Der Nahe Osten im Umbruch – Drahtseilakt für Europa?“ hieß das Referat von CDU-Bundestagsmitglied Ruprecht Polenz beim ersten „Heringsessen am Aschermittwoch“. Zu dem hatten sich auf Einladung des Deutschen Roten Kreuzes in Borken auf Anhieb knapp 80 Vertreter von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Wohlfahrtspflege eingetroffen.

„Wir wollen Sie zu aktuellen Themen zwanglos zusammenbringen“, freute sich Dr. Klaus-Peter Schulz-Gadow, Präsidiums-Vorsitzender des DRK-Kreisverbandes, in seiner Begrüßung über die große Resonanz zum Aschermittwoch. Zum Zeitpunkt der Einladung sei die Aktualität des Themas noch nicht denkbar gewesen, sagte Schulz-Gadow.
 Ruprecht Polenz (Münster), beim Roten Kreuz in Borken, hier mit seinem Bundestagskollegen Johannes Röring (re) Ruprecht Polenz (Münster), beim Roten Kreuz in Borken, hier mit seinem Bundestagskollegen Johannes Röring (re)
Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und mithin Experte für knifflige Fragen in Nahost und Fernost, klärte die Eingeladenen über interessante Hintergründe der Unruhen in Libyen, Ägypten, Tunesien oder Bahrein auf. Er schilderte Beweggründe der arabischen Welt, warum sie gegen eine oft jahrzehntelange Regentschaft der Herrschaftssysteme aufbegehre.

Der Münsteraner Polenz, auch Vorsitzender der Christlich-Muslimischen Friedensinitiative, führte fünf Beweggründe des Westens an, warum er mit Besorgnis auf Nordafrika schaue. „Welche Interessen gibt es? Wirtschaftliche, Sicherheitsbedenken für Israel, Migrations- und Flüchtlingsgründe, Terrorismus, Reformen/Demokratisierung.“

Es sei falsch, wenn von einem Domino-Effekt gesprochen werde, weil sich das Aufbegehren der Bürger von Tunesien beginnend über Ägypten nach Libyen entwickelt habe: „Es stehen in den Ländern völlig unterschiedliche Interessen hinter diesen Bewegungen.“

Europa könne seiner Meinung nach nicht so direkt eingreifen, wie das vielfach gefordert werde. Man könne Parteien unterstützen wie früher zu Franko-Zeiten in Spanien – wichtig aber sei, dass die Entwicklung „von den Menschen selbst getragen wird“.

„Europa muss seine Märkte öffnen“

Die Länder hätten enorme wirtschaftliche Probleme. Anders als hier sei in den betroffenen Staaten die Hälfte der Bevölkerung jünger als 30 oder sogar 20 Jahre. „Das heißt: In Ägypten müssten Jahr für Jahr 600.000 bis 700.000 Arbeitsplätze für Schul- oder Studienabgänger geschaffen werden“ – eine unrealistisches Ziel. Europa müsse seine „Märkte öffnen: Für Benzin tun wir das ja schon. Aber das gilt auch für die Landwirtschaft, für den freien Verkauf von Orangen – für Spanien ist das wiederum kein Thema.“

Laut Polenz werde schnell pauschalisiert, der Westen wolle in Nahost und in der arabischen Welt seine Ölinteressen wahren. „Das stimmt so nicht. Eine politische Rückendeckung muss auch durch die Afrikanische Union erfolgen“, in der Libyen natürlich auch Mitgliedsstaat sei. Von einer Flugverbotszone halte er im Übrigen nichts: Das klinge zwar gut, würde letztlich aber einen Militärschlag voraussetzen. Den wolle keiner.

Der münstersche Bundestagsabgeordnete informierte sich anschließend über das seit zwei Jahren bestehende Rotkreuzzentrum an der Röntgenstraße und teilte viel Lob aus: „Ich bin in Münster auch Rotkreuz-Mitglied und engagiere mich fürs THW. Ihre Arbeit ist mir also nicht fremd.“

„Die Krise ist bei uns angekommen“

DRK-Vorstand Anton Verschaeren schilderte schließlich die jüngsten Rotkreuz-Aktivitäten in Nordafrika. So seien bereits über 40.000 Menschen von Libyen nach Tunesien geflohen.

Ein DRK-Mitarbeiter aus Siegen-Wittgenstein erkunde den weiteren Hilfsbedarf und leite Hilfsmaßnahmen ein. Die Flüchtlinge seien körperlich erschöpft und oft traumatisiert. Der Tunesische Rote Halbmond – eine Rotkreuz-Schwesterorganisation – biete den Menschen Nahrung, Unterkunft und psychosozialen Beistand. Außerdem unterstützt laut DRK die Hilfsorganisation den Weitertransport der Flüchtlinge zu Bekannten und Verwandten in Tunesien und hilft Ausländern bei der Kontaktaufnahme zu ihren Botschaften. Das Rote Kreuz in Malta bereite sich auf eine mögliche Versorgung von Flüchtlingen aus Libyen vor.

„Die Krise ist also auch bei uns, dem DRK, angekommen“, schloss Anton Verschaeren, bevor im „Café Henry“ die illustre Gästeschar zum ersten schmackhaften „Heringsessen am Aschermittwoch“ geladen wurde.

(Text: DRK-Kreisverband Borken)