Ruprecht Polenz

Für Deutschland und die Europäische Union hat der Nahe und Mittlere Osten eine strategische Bedeutung

Rede von Ruprecht Polenz im Bundestag zur Lage in der arabischen Welt

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Umbruch in der arabischen Welt: Was hat sich im Vergleich zum vorigen Jahr eigentlich geändert? Ich glaube, der entscheidende Punkt ist: Die Menschen haben keine Angst mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnen moralische, materielle und politische Unterstützung ge­ben, und ich finde, die Bundesregierung hat dies mit ihrer Antwort auf diese Umbrüche in der arabischen Welt auch entschlossen und klug getan.

Wir als Bundesrepublik Deutschland haben Hilfe in Form einer Transformationspartnerschaft in der ganzen Breite der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politi­chen Entwicklung angeboten. Wir haben sie in den Blick genommen. Gleichzeitig haben wir aber deutlich gemacht: Es ist Sache der Araber, der Menschen in diesen Ländern selbst, darüber zu entscheiden, welchen Weg sie einschlagen wollen und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen.

Die Region hat eine globale Bedeutung. Das haben wir in dieser Debatte vielleicht noch etwas wenig be­leuchtet. In dem Gebiet von Marokko bis zum Persischen Golf liegen die Energiereserven an Öl und Gas für die ganze Welt, und die Bedeutung dieser Region wird durch die atomare Katastrophe in Japan eher zu- als abnehmen.

Auch für Deutschland und die Europäische Union hat der Nahe und Mittlere Osten eine strategische Bedeutung, und wir haben dort eigene Interessen; das müssen wir in dieser Debatte auch sagen.

Was sind unsere Interessen?

Wir haben erstens ein Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit im Bereich der Energie: beim Öl, beim Gas und in Zukunft aber auch bei der Solarenergie. Wir haben ein Interesse an den Märkten, die sich in dieser Region auch für unsere Wirtschaft ergeben.

Wir haben zweitens ein strategisches Interesse an der Sicherheit Israels.

Wir haben drittens das Interesse, dass wir Migrations- und Flüchtlingsströme aus dieser Region oder durch diese Region nach Europa vermeiden, vor allen Dingen dadurch, dass wir die Ursachen für diese Flüchtlingsströme in diesen Ländern und gemeinsam mit diesen Ländern dann auch weiter südlich bekämpfen.

Deshalb haben wir viertens ein Interesse an Modernisierung, Reformen und guter Regierungsführung.

Last, but not least möchte ich fünftens das Interesse daran nennen, den Terrorismus, der in dieser Region seine Wurzeln hat, wie sich immer wieder zeigt, gemein­sam mit den Ländern dieser Region zu bekämpfen.

Was in Tunesien, Ägypten, Libyen und Bahrain geschieht, ist zuallererst Sache der Tunesier, Ägypter, Libyer und Bahrainer. Aber wir müssen ihnen dabei helfen, das selbst zu gestalten. In Tunesien und Ägypten geht es um Partizipation, Demokratie, Rechtsstaat und Men­schenrechte. Die Hilfen sind in der Debatte beschrieben worden. Es geht aber auch um Ökonomie, um die Marktöffnung auch im Bereich der Agrarpolitik, um Marktwirtschaft und Korruptionsbekämpfung.

Ich will an dieser Stelle ein Stichwort aufgreifen, das immer wieder genannt wird, wenn es heißt, die Region brauche jetzt einen Marshallplan. Das ist richtig. Sie braucht auch ein Konzept zur interregionalen Zusammenarbeit. Das ist sehr wichtig. Denn es gibt in der Re­gion genug Geld. Es geht aber auch darum, dass wir dazu beitragen, dass das Milliardenvermögen der Ben Alis und Mubaraks, das eigentlich das Geld der Bevöl­kerung dieser Länder ist, wieder seinen Weg dorthin zurückfindet. Wir sollten dazu beitragen, dass die hohen zweistelligen Milliardenbeträge – es wird einem schwindlig vor Augen, wenn man hört, welche Summen diese Herrscher zur Seite geschafft haben – zugunsten des Aufbaus der Länder, um die es geht und denen das Geld eigentlich gehört, zurückgeführt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Stinner im Hinblick auf Bahrain gesagt hat. Denn ich glaube, dass wegen der Diskussion um Libyen die Brisanz der Entwicklung in Bahrain etwas aus dem Blick gerät. Es gibt drei Besonderheiten, die den Konflikt und die Situation in Bahrain von allen anderen Ländern unterscheiden. Das sind erstens die interreligiöse Dimension des Kon­flikts mit Blick auf die Sunniten und Schiiten und zweitens die grenzüberschreitende Dimension wegen einer Involvierung Saudi-Arabiens einerseits und möglicherweise des Iran andererseits, die es in anderen Ländern nicht gibt. Drittens gibt es eine internationale Dimension. Denn in Bahrain hat die fünfte amerikanische Flotte ihre Basis. Das alles macht die Lage dort so brisant.

Leider hat die Regierung, das Königshaus in Bahrain, auf die ursprünglichen Forderungen nach Partizipation und Reformen nicht konstruktiv reagiert. Sie hat den Zeitpunkt verpasst. Aber ich bin mit Ihnen, Herr Stinner, einer Meinung. Die Intervention durch den Golfkooperationsrat mit etwa 500 Polizisten und Saudi-Arabien mit etwa 1 000 Soldaten eskaliert. Auf diese Weise lassen sich die Unruhen nicht dauerhaft befrieden. Das ist nur durch Reformen und Partizipation möglich.

Man darf das nicht durch die enge religiöse Brille sehen, aber es besteht die Gefahr, dass gerade durch die Intervention Saudi-Arabiens diese Perspektive deutlich verstärkt wird. Wenn wir in Zukunft an einer möglichst widerspruchsfreien Politik für den Nahen Osten arbeiten wollen, dann dürfen wir nicht zulassen, dass das Reformtempo in Bahrain durch Saudi-Arabien bestimmt wird. Denn dann dauert es mit Sicherheit zu lange.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Noch eine letzte Bemerkung zu Libyen: Es ist viel zu den Problemen im Zusammenhang mit der Flugverbotszone gesagt worden. Ich habe mich dazu schon öffentlich geäußert. Ich bin bei meinem Besuch in Oman und Katar von meinen arabischen Gesprächspartnern darauf aufmerksam gemacht worden, warum Gaddafi gefallene Gegner exhumieren lässt. Das sind bestätigte Nachrichten. Er macht es deshalb, um sie zu identifizieren und sich an ihren Familien zu rächen. Das zeigt, was dort möglicherweise auch noch auf die Bevölkerung zu­kommt.

Deshalb kann man, Herr Außenminister, wenn man erstens richtigerweise fordert „Gaddafi muss weg!“ und zweitens richtigerweise sagt, dass ihn der Internationale Strafgerichtshof erwartet, nicht nur abwarten, dass mittelfristig Sanktionen dazu führen, dass er irgendwann dort landen wird.

Ich glaube, wir stehen noch vor der Aufgabe, zunächst die Frage einer Resolution und der Beteiligung der Arabischen Liga zu beantworten. Dann geht es um die Umsetzung der Forderung „Gaddafi muss weg! Er muss vor Gericht gestellt werden“. Ich glaube, vor dieser Aufgabe stehen wir noch. Das wird uns auch im Sicherheitsrat noch einiges abverlangen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Rolf Mützenich (SPD)