Ruprecht Polenz

Rede von Ruprecht Polenz im Deutschen Bundestag zu den aktuellen Entwicklungen in Libyen (UN-Resolution)

Aussprache zur Regierungserklärung des Bundesaußenministers

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Kollege Mützenich, nach Ihrem Beitrag fällt es nicht ganz leicht, sachlich zu dem Thema zu sprechen, für das wir heute Vormittag hier zusammengekommen sind.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Das ist auch nicht einfach!)

Ich glaube, niemand macht sich die Entscheidung leicht.
Das haben Sie für die SPD-Fraktion betont. Es hilft nichts, sich gegenseitig die Vergangenheit vorzuhalten. Diesbezüglich könnte ich auf Ihre Rede jetzt so einiges erwidern und zeigen, dass man außenpolitische Fragen innenpolitisch instrumentalisiert hat. Dazu würde mir einiges einfallen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Thomas Oppermann (SPD): Westerwelle hat damit angefangen! - Zuruf des Abg. Christian Lindner (FDP)

Aber das möchte ich nicht tun. Ich möchte zu dem sprechen, für das wir heute hier zusammengekommen sind.

Ich weiß nicht, wer von Ihnen gestern um Mitternacht, als die Resolution des Sicherheitsrats beschlossen worden ist, Bilder aus Bengasi gesehen hat. Die Leute sind auf die Straße geströmt, befreit von der Angst, die sie natürlich hatten, weil Gaddafi ihnen nicht nur rhetorisch das Ende angekündigt hat, sondern auch sein Tun bis dahin erwarten ließ, dass es in Bengasi ein Blutbad geben könnte. Die Erleichterung über die Entscheidung stand den Menschen ins Gesicht geschrieben.

Die Frage ist jetzt: Wie geht es weiter? Es hat sich etwas verändert in der Rhetorik des Gaddafi-Regimes. Auf einmal ist die Rede von Verhandlungen, von Waffenstillstand und von Ähnlichem. Aber die Taten sprechen nach wie vor eine andere Sprache. Die Agenturen meldeten heute Morgen, dass die Stadt Misurata eingekesselt ist und mit Raketen beschossen wird, dass Gaddafi also weitermacht.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat gestern die Staatengemeinschaft ermächtigt, einzeln oder gemeinsam zu handeln, nämlich bei Sanktionen, bei einem Flugverbot und vor allen Dingen beim Schutz der Zivilisten. Das war für uns immer die erste Voraussetzung, die erfüllt sein muss, ehe wir überhaupt darüber reden, wie Deutschland sich verhält und ob es sich gegebenenfalls beteiligt. Diese Voraussetzung ist durch den Sicherheitsratsbeschluss gestern Abend erfüllt.

Für Deutschland ist aber auch ein weiterer Punkt entscheidend, den ich immer wieder vorgetragen habe. Wenn man in Libyen eingreift, bei den Konflikten im Sudan, in der Republik Elfenbeinküste und bei vielen anderen Konflikten dieser Welt aber nicht, ist zu fragen – und diese Frage ist berechtigt – : Worin liegt für euch Europäer und euch Deutsche der Unterschied? Die Antwort darf nicht lauten: Es ist das Öl.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN Otto Fricke (FDP): So ist es!)

Um diese Schlussfolgerung zu vermeiden, war es entscheidend und notwendig, dass sich Länder aus der Region sichtbar beteiligen. „Sichtbar“ heißt, dass sie nicht, was wir in der Region gelegentlich erleben, der Weltöffentlichkeit auf Englisch das eine erklären, der eigenen Bevölkerung aber auf Arabisch etwas anderes sagen. „Sichtbar“ heißt, dass sie eine solche Operation tatsächlich mit stützen. Jetzt heißt es, dass Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate bereit wären, das zu machen.

Die Frage ist: Wie soll sich Deutschland verhalten?

(Abg. Thomas Oppermann (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Bitte schön.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Bitte schön, Kollege Oppermann.

Thomas Oppermann (SPD): Vielen Dank. Das kam postwendend. Herr Polenz, Sie wollen sich jetzt der Frage zuwenden, wie sich Deutschland verhält. Vorher will ich Sie aber fragen diese Fragen haben Sie noch nicht beantwortet , ob der UN-Sicherheitsratsbeschluss aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion richtig oder falsch war.

(Christian Lindner (FDP): Das hat er gerade erläutert!)

Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Es war richtig, dass Deutschland sich enthalten hat. Auch der Beschluss als solcher war richtig. Sonst hätten wir ja dagegengestimmt.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Edelgard Bulmahn (SPD): Das ist im Widerspruch zu dem, was Sie gerade gesagt haben!)

Moment. Wenn er falsch gewesen wäre, hätten wir dagegenstimmen müssen. Wir haben uns enthalten. Der Beschluss war richtig. Es war aber auch richtig, dass sich Deutschland gestern Abend enthalten hat. Das will ich gleich noch ausführen und begründen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Weiterer Zuruf der Abg. Edelgard Bulmahn (SPD))

Um die Frage beantworten zu können, warum man sich in Libyen engagiert, an der Elfenbeinküste aber nicht, müssen wir zunächst einmal unsere Interessen in den Blick nehmen.

(Christian Lange (Backnang) (SPD): Interessante Vorstellung von Souveränität!)

In der Mittelmeerregion haben wir ökonomische Interessen. Es geht um ein strategisches Interesse, um die Sicherheit Israels und um Fragen der Migration und der Flüchtlinge. Wir haben ein Interesse an der Modernisierung dieser Region, an Reformen. Damit zusammenhängend haben wir auch ein Interesse daran, den Terrorismus, der in dieser Region Wurzeln hat, vorbeugend zu bekämpfen.

Die Mittelmeerregion hat also eine strategische Bedeutung für die Sicherheit Europas, anders als andere Regionen der Welt. Insofern muss man zu dem Argument, überall auf der Welt passiere ähnlich Schlimmes und dort machten wir nichts, von unserem Interessengesichtspunkt her sagen: Der Mittelmeerraum liegt uns aus anderen Gründen, auch aus Sicherheitsgründen, näher und rechtfertigt eine andere Betrachtungsweise.

Ich warne allerdings heute vor zu weit gehenden Festlegungen von uns Parlamentariern, weil uns wichtige Informationen fehlen. Es ist nicht so, dass das Parlament über den Einsatz der Streitkräfte beschließt, sondern man stimmt einem Antrag der Bundesregierung zu, wenn er denn eingebracht wird, weil dann alle Vor- und Nachteile viel detaillierter abgewogen werden können.

In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass man hinsichtlich der Einsatzrisiken aus dem Beispiel Bosnien lernen kann: Damals hat Milosevic bei Luftangriffen zivile Schutzschilde vor militärisch wichtige Ziele gestellt. Das wird Gaddafi möglicherweise auch machen. Es wird bei dem Einsatz aus der Luft nicht ohne sogenannte Kollateralschäden am Boden abgehen. Das muss man wissen.

Man muss auch wissen: Es ist nicht sicher, dass ein solcher Lufteinsatz zu dem Ergebnis führt, dass Gaddafi aufgibt, sich festnehmen und nach Den Haag transportieren lässt. Denn das ist ja das Ziel, das letztlich hinter all diesen Überlegungen steht.

Es gibt noch eine ganze Menge offener Fragen. Deshalb überlegt der NATO-Rat seit heute Vormittag bei seiner Tagung, wie das weitere Vorgehen sein soll. Auch hier ist die Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Ich finde es richtig, dass wir über das weitere Vorgehen auch innerhalb der Europäischen Union diskutieren.

Aus meiner Sicht war es sehr verständlich, wegen der noch ungeklärten Risiken zunächst das politische Vorgehen abzuwarten. Noch sehe ich kein arabisches Land, das hierbei mitwirkt. Die militärischen Einsätze haben ja auch noch nicht begonnen. Alles andere hätte ich für ein viel zu großes politisches Risiko gehalten.

Nun zu der Frage: Wie soll sich Deutschland weiter verhalten?

Ich glaube, wenn wir das heute im Plenum des Bundestages diskutieren, kommt es darauf an, dass wir uns Optionen für die weiteren Beratungen in der NATO und in der Europäischen Union offenhalten und dann von der Regierung weitere Erklärungen und Festlegungen erwarten. Das können wir aus der heutigen Sicht nicht beurteilen. Ich würde nicht sagen: Jawohl, in jedem Fall wäre es richtiger, wenn sich Deutschland militärisch beteiligen würde. So weit würde ich heute nach den Informationen, die ich als Parlamentarier habe, nicht gehen. Insofern ist es klug, dass die Regierung die verschiedenen Möglichkeiten weiter überdenkt.

Auf der anderen Seite, Herr Außenminister: Wir haben im Sicherheitsrat und auch in der Europäischen Union der Aussage zugestimmt: Gaddafi muss weg, seine Zeit ist abgelaufen. Wir haben im Sicherheitsrat einer Resolution zugestimmt, dass Gaddafi vor den Internationalen Strafgerichtshof soll. Wir haben uns bereit erklärt, Sanktionen mitzutragen. Da klafft eine operative Lücke. Denn Sanktionen wirken mittel- bis längerfristig; sie wirken in der Regel nicht sofort. Mir sind jedenfalls keine Sanktionen bekannt, die sofort eine derart weitgehende Verhaltensänderung bewirkt hätten, sodass Gaddafi festgesetzt wird.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rainer Arnold?

Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Ja.

Rainer Arnold (SPD):

Sie sprachen davon, wie wir uns als Parlamentarier verhalten. Deshalb meine Frage: Trifft die Meldung zu, dass die Bundesregierung in Ihrer Fraktionssitzung erklärt hat, sie erwäge einen Einsatz von AWACS in Afghanistan, um so die NATO für einen Einsatz in Libyen zu entlasten? Wie bewerten Sie die Auswirkungen auf die Bündnisse, wenn die Deutschen ihr Personal von den jetzt schon vor Libyen fliegenden AWACS unverzüglich zurückziehen?

Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Das wird eine der Fragen sein, die jetzt in der NATO besprochen werden müssen.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Warum hat das der Außenminister hier nicht gesagt?)

Denn es ist ja klar: Im Augenblick fliegen AWACS im Mittelmeerraum, allerdings mit einem Mandat zur Aufklärung. Wenn man das ändern wollte, und die AWACS als Feuerleitzentrale für eventuelle Luftschläge einsetzten wollte, müsste der Bundestag neu damit befasst werden. Wir müssten dafür ein Mandat erteilen.

(Zuruf der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))

Das würde der Bundestag auf Antrag der Bundesregierung zu beschließen haben, wenn die Bundesregierung einen entsprechenden Antrag vorlegen will. Gleichzeitig hatten wir – wir erinnern uns beide – eine Diskussion über AWACS in Afghanistan geführt; Sie kennen die Vorgeschichte. Die AWACS-Flugzeuge werden weiter dort gebraucht. Die NATO muss entscheiden, wo der deutsche Einsatz gebraucht wird. Ich finde es richtig, dass der Verteidigungsminister das in der NATO klären wird. Darüber ist in der Fraktion gesprochen worden. Im Übrigen wollte ich Ihnen eigentlich keine weitergehenden Auskünfte über unsere Fraktionssitzung geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Mützenich?

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein! Ausgerechnet der, der selber keine Antworten geben kann!)

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Ja.

Dr. Rolf Mützenich (SPD):

Herr Kollege Polenz, wie verstehen Sie eine Regierungserklärung des Außenministers, mit der das Parlament und die Öffentlichkeit über eine solch wichtige Frage informiert werden sollen, nachdem offensichtlich nur Ihnen in der Fraktionssitzung die Information gegeben worden ist, wie mit dem Einsatz von AWACS-Flugzeugen umgegangen werden soll

(Otto Fricke (FDP): Hat er doch gesagt! Was soll das denn?)

und ob es möglicherweise ein weiteres Mandat des Deutschen Bundestags geben wird?

(Christoph Schnurr (FDP): Das ist unnötig!)

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Wir haben nicht konkret über Mandatierungen gesprochen, und außerdem geht es um die weitere Diskussion im Bündnis. Ich habe versucht, klarzumachen, dass die NATO gerade im Planungsprozess ist. Deutschland hat zugestimmt, dass die NATO Planungen für humanitäre Hilfe einschließlich dafür notwendiger militärischer Maßnahmen unternimmt. Die Bundesregierung hat eine Planung Richtung Flugverbotszone passieren lassen. Das ist der Stand in der NATO.

Die NATO-Beratungen gehen jetzt weiter. Sie fragen mich eigentlich, was bei den NATO-Beratungen herauskommt. Es ist im Moment noch gar nicht klar, ob die NATO sich überhaupt an einer Operation auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolution beteiligt. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass diese Entscheidung schon gefallen wäre. Es kann sehr gut sein, dass es beispielweise nur eine sogenannte Coalition of the Willing gibt. Insbesondere Frankreich, aber auch Großbritannien und die USA haben gesagt, dass sie gegebenenfalls dabei wären. Es ist noch gar nicht ausgemacht, dass es eine NATO-Mission wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Auch das spricht dafür, dass wir uns heute im Plenum nicht in einer Weise festlegen, dass wir den weiteren Entwicklungen nicht Rechnung tragen können.

Wir haben das ist, glaube ich, in allen Fraktionen deutlich geworden schwierige Abwägungsentscheidungen zu treffen, die mehrere verschiedene Ebenen berühren. Die Ebene des gemeinsamen Handelns in der Europäischen Union ist wichtig. Die Ebene im NATO-Bündnis ist wichtig. Aber es ist auch eine wichtige Entscheidung - dazu sind wir insbesondere als Bundestag verpflichtet-, Risiken und Erfolgsaussichten abzuwägen sowie die Schlüssigkeit dessen, was auf dem Tisch liegt, zu prüfen.

Herr Mützenich, bisher hat der Sicherheitsrat gesagt: keine Bodentruppen. Diese Resolution hat den Sicherheitsrat passiert. Sie ist bei Enthaltung von Russland und China angenommen worden. Wenn das eine Hängepartie wie damals auf dem Balkan wird obwohl es da keinen Sicherheitsratsbeschluss gab und sich die Frage stellt, ob nicht doch Bodentruppen gebraucht werden, dann würde es eines neuen Sicherheitsratsbeschlusses bedürfen. Dabei muss man nach dem bisherigen Verlauf der Diskussion große Zweifel daran haben, dass dieser ohne Veto von Russland oder China oder von beiden durchgehen würde. Dann würde die Operation auf halber Strecke feststecken. Das müssen Sie auch bedenken.

All diese Gesichtspunkte können wir heute im Plenum als Fragen formulieren, ohne dass wir Antworten darauf haben.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Aha!)

-Ja, das ist so. Das muss in den Gremien des Bündnisses vom Militär beurteilt werden. Dann stellt sich die Frage, ob und wie Deutschland sich beteiligt.

Ich finde die Zurückhaltung richtig. Bündnis heißt nicht, dass Deutschland bei allem, was die NATO macht, prinzipiell dabei sein muss. Sonst brauchten wir den Parlamentsvorhalt nicht mehr und könnten sagen: Das alles entscheidet die NATO in Brüssel, und wir sind dabei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie das Parlament heute unmittelbar nach der Entscheidung des Sicherheitsrats in Form einer Regierungserklärung informiert hat. Es ist sicherlich nicht das letzte Mal, dass wir über dieses Thema diskutieren. Ich hoffe, dass es auf der Basis des gestern Beschlossenen gelingt, die Hoffnungen, die die Menschen in Bengasi jetzt in die internationale Staatengemeinschaft und das Verhalten von Gaddafi setzen, nicht zu enttäuschen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)