Ruprecht Polenz: Meine Rede zur PID-Debatte
Herr Präsident,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
Es geht heute für uns alle um eine schwierige Gewissensentscheidung in einem Grenzbereich. Behutsamkeit des Gesetzgebers ist hier ganz besonders gefragt.
Niemand im Parlament macht sich die Entscheidung leicht und ich möchte zunächst, unabhängig vom Ergebnis, um Respekt vor der Gewissensentscheidung eines jeden Abgeordneten bitten.
Bei meiner Entscheidung für den Gesetzentwurf von Peter Hintze, der unter sehr eingeschränkten Bedingungen eine PID erlaubt, habe ich mich im Wesentlichen von folgenden Überlegungen leiten lassen:
Die PID würde Frauen und Familien nutzen, die einen Kinderwunsch haben und genetisch erheblich vorbelastet sind. Ihr Ziel ist eine Schwangerschaft herbeizuführen und das Risiko einer Todgeburt oder einer schweren Erkrankung des Kindes möglichst zu verhindern. Dabei spricht man für Deutschland von einem Betroffenenkreis von etwa 150-200 Paaren im Jahr.
Mich haben zum Teil eindringliche Schilderungen von Familien erreicht, die sich weitere Kinder wünschen, aber nach mehreren Fehlgeburten oder weil sie bereits ein schwerbehindertes Kind haben, nicht die Kraft für ein weiteres schwerbehindertes Kind aufbringen können.
Ich glaube, wenn es medizinisch möglich ist, dieses Leid zu vermeiden, kann es nicht richtig sein, den Betroffenen diese Untersuchung vorzuenthalten. Die Möglichkeit der Information durch die PID und das Urteil darüber soll den betroffenen Familien zustehen, wenn sie es wollen.
Der Gesetzentwurf von Peter Hintze achtet sehr genau darauf, dass jede Entscheidung, eine PID zu nutzen, als Einzelfall behandelt wird. Ein allgemeines Urteil über den Lebenswert von Menschen, die bestimmte Behinderungen haben, kann man darum nicht ableiten. Die Vermeidung eines konkreten individuellen Leids im Einzelfall, führt nach meiner Auffassung nicht dazu, dass bereits lebende Menschen mit bestimmten Behinderungen dadurch diskriminiert werden könnten.
Verfassungsrechtlich ist nicht entschieden, ab welchem Zeitpunkt menschliches Leben beginnt. Für mich sind folgende Überlegungen maßgebend:
Ein Mensch kann nicht außerhalb des Mutterleibes zum Fötus oder Kind heranwachsen. Deshalb halte ich es für richtig, den vollen Schutz menschlicher Würde mit der Nidation beginnen zu lassen. Dieser Standpunkt bedeutet nicht, dass die befruchtete Eizelle deshalb schutzlos gestellt wäre.
Genauso, wie nach dem Ableben der Leichnam eines Menschen strafrechtlich vor Missbrauch geschützt ist, gibt es eine „Vorwirkung“ des Schutzes für die befruchtete Eizelle, deren eigener Wert hohen Respekt erfordert. Auch dieser Abwägung trägt der sogenannte Hintze-Entwurf Rechnung.
Würde man den vollen Schutz menschlicher Würde bereits mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnen lassen, müsste man Nidationshemmer und Antikontrazeptiva, wie die „Spirale“, konsequenterweise verbieten.
Folgt aus einer Zulassung der PID für sehr eng umgrenzte Fälle, dass alles, was heute technisch machbar ist, gemacht würde und man letztlich auf eine schiefe Bahn gerät? Ich verstehe die Sorge, die hinter der Frage steht und die Furcht vor sogenannten „Designerbabies“. Ich traue aber uns als Gesellschaft und den Menschen, die in der konkreten Konfliktsituation sind, die Fähigkeit zu, verantwortungsvoll mit einer PID umzugehen.
Davon gehen wir ja auch bei der Pränataldiagnostik aus, deren rechtliche Zulässigkeit niemand bezweifelt. Mit einem absoluten Verbot der PID würden wir die Betroffenen auf das benachbarte Ausland verweisen, wo PID erlaubt ist.
Der Gesetzgeber bleibt aufgefordert, die Gefahr eines Missbrauchs möglichst gering zu halten und eine Institutionalisierung der Diagnosezentren vorzunehmen, die die PID in einem menschenwürdigen Kontext gewährleistet.
Die mit großen Ernst geführte Diskussion, die über Parteigrenzen hinweg und quer durch die Gesellschaft verlief, ist für mich ein Zeichen, dass wir dieser Verantwortung auch in unserem Land gewachsen sein werden.