"Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk vom 26.08.2011
Das Interview zum Nachhören. Das Gespräch fürhte Bettina Klein.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), hält das Interview von Altkanzler Helmut Kohl für eine "klare Aufforderung an die politische Führung", sich zur Rettung Griechenlands und der Stabilisierung des Euro zu bekennen.
Ich habe heute Morgen mit dem CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz darüber gesprochen. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Deutschland - keine berechenbare Größe, es gebe keinen Kompass mehr und keinen Gestaltungs- und Führungswillen. Harsche Kritik des Altkanzlers. Ich habe Ruprecht Polenz gefragt, ob er diese Kritik im Kern für berechtigt hält.
Ruprecht Polenz: Ich glaube, Helmut Kohl macht sich Sorge um den Zusammenhalt Europas. Er sieht, dass die Euro-Krise zu großen Diskussionen führt, die nicht immer erkennen lassen, dass alle verstehen, wie wichtig der Euro und der Zusammenhalt Europas gerade für Deutschland sind, und dieses Signal wollte er senden. Es geht darum, die Europäische Union zusammenzuhalten im Interesse einer guten Zukunft auch für Deutschland.
Klein: Was folgt denn für die praktische Arbeit daraus, Herr Polenz?
Polenz: …, dass wir zum Beispiel bei der Diskussion um die Frage, was ist jetzt zu tun, um den Euro zu stabilisieren, nicht nur über die technischen Werkzeuge reden dürfen, also Euro-Rettungsschirm und wie die ganzen Fachausdrücke heißen, dass wir nicht nur über das Werkzeug sprechen dürfen, sondern wir müssen eben auch über das Haus sprechen, was saniert werden soll, und wie wichtig es ist, dieses Haus für uns Deutsche und für die Europäer gemeinsam mit zu erhalten.
Klein: Wir müssen darüber sprechen, und das ist bisher nicht ausreichend geschehen?
Polenz: Nein, denn die Frage der Euro-Rettung, wenn Sie sich mal anschauen, wie das bei uns diskutiert wird, wird nur von der Kostenseite her debattiert und was es Deutschland kosten könnte. Ganz wenig wird darauf aufmerksam gemacht, wie viel Deutschland vom Euro-Raum profitiert. Wir exportieren 40 Prozent unserer gesamten Exporte in den Euro-Raum, 60 Prozent in die Europäische Union. Das alles könnten wir in einem gemeinsamen Binnenmarkt ohne irgendwelche Handelshemmnisse nicht tun, wenn dieser Raum nicht so gestaltet wäre wie er ist. Es muss uns also auch etwas wert sein, sich darum zu kümmern, dass Griechenland aus seiner schwierigen Situation herausgeführt wird. Und erst wenn man diese Gleichung komplett hat, dann werden die Menschen auch verstehen, dass es in unserem Interesse ist, in die Griechenland-Rettung auch etwas zu investieren.
Klein: Aber Herr Polenz, da sehe ich schon noch mal einen Unterschied. Das eine ist doch, dass man noch mal den Wert Europas betont und dafür wirbt, und das andere ist, was Altkanzler Kohl sagt, Deutschland sei keine berechenbare Größe mehr. Also noch mal die Frage: Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?
Polenz: Ich nehme auch wahr, dass innerhalb Europas eine unterschiedliche Auffassung herrscht. 26 Mitgliedsländer sind der Meinung, Deutschland sei das Land, was vom Euro und von dem gemeinsamen Binnenmarkt am meisten profitiere. Ein Land, nämlich Deutschland, hält sich für den Zahlmeister der ganzen Veranstaltung. Da muss auch politische Führung, da müssen wir alle - ich schließe mich da mit ein - immer wieder dafür werben, dass hier die Dinge klargerückt werden.
Klein: Aber ich frage noch mal nach: Was muss denn jetzt konkret passieren, wenn Sie sich selbst ansprechen dabei, dass mehr Führung gezeigt werden muss? Es ist ja schon eine klare Kritik an den Führungspersönlichkeiten, die wir im Augenblick haben in der Politik. Also wer ist der Adressat dessen?
Polenz: Nein, es ist eine klare Aufforderung an die politische Führung, deutlich zu machen, es gibt keine vernünftige gangbare Alternative, die besser wäre, als eine Rettung Griechenlands, als eine Stabilisierung des Euro, auch wenn Deutschland das etwas kostet. Es kostet uns alles viel weniger, als jede andere Alternative. Das müssen wir deutlich machen. Und ich nehme eben auch mit Sorge wahr, dass vor den Sitzungen jetzt im September, wo über diesen Euro-Rettungsschirm beschlossen werden soll, Zweifel aufkommen, ob es dafür eine Mehrheit gäbe. Ich halte das für unverantwortlich. Wir müssen ganz klar machen, selbstverständlich wird Deutschland das einlösen, was die Bundesregierung jetzt auch bei den vorbereitenden Gipfeln in Europa zugesagt und versprochen hat.
Klein: Kohl geht ja in seiner Kritik über die Europapolitik hinaus. Er sagt zum Beispiel, er hätte sich nie träumen lassen, dass ein amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über Deutschland hinwegfliegt. Das scheint ihm wirklich weh zu tun. Können Sie das nachvollziehen?
Polenz: Ich kann das ein bisschen nachvollziehen. Ich fand es auch schade, dass Obama nicht in Deutschland Station gemacht hat. Es war schon das zweite Mal. Aber ich würde daraus noch nicht so weitgehende Schlussfolgerungen ziehen, wie er das in seinem Interview getan hat. Richtig ist allerdings, dass in den USA - und das nehme ich auch wahr - unser Verhalten im UN-Sicherheitsrat bei der Libyen-Resolution für Irritationen gesorgt hat. Die Bundesregierung hat sich im Nachhinein bemüht, etwa durch die intensive Mitarbeit in der Kontaktgruppe, aufkommende Zweifel an der Verlässlichkeit zu zerstreuen, aber sie sind eben erst mal aufgekommen.
Klein: Sie selbst zählten ja schon in der Zeit der Abstimmung zu den Kritikern einer Enthaltung Deutschlands im Weltsicherheitsrat. Jetzt haben wir aus der Bundesregierung eher so das Signal gehört, man fühle sich doch durch die Entwicklung in Libyen in der eigenen Politik bestätigt. Halten Sie das für die angemessene Reaktion auch auf die Irritationen zum Beispiel in den USA, die Sie gerade angesprochen haben?
Polenz: Nein. Ich denke, dass die Bundesregierung, deren Enthaltung ich wie gesagt nicht für richtig gehalten habe, durchaus auch Sorgen hatte, die man haben konnte, nämlich reicht der Lufteinsatz aus, um zu dem Erfolg zu kommen, den wir jetzt mit dem Sturz Gaddafis sehen, und zwischendurch konnte man ja auch in diesen sechs Monaten das eine oder andere Mal durchaus diese Sorgen bestätigt fühlen. Aber jetzt sollte man sagen, glücklicherweise haben sich die Sorgen am Ende nicht als zutreffend herausgestellt, wir sind darüber sehr erleichtert und wir freuen uns mit unseren Alliierten und natürlich auch mit der libyschen Bevölkerung, dass wir jetzt so weit sind wie man ist, und die schweren Aufgaben, die beim Aufbau Libyens jetzt vor dem libyschen Volk liegen, da wollen wir gemeinsam mit unseren Alliierten helfen, dass das libysche Volk diese bewältigt.
Klein: Und man sollte vielleicht auch noch mal ehrlicherweise sagen, den entscheidenden Anteil an der Entwicklung jetzt haben die anderen NATO-Staaten und nicht Deutschland?
Polenz: Es bricht einem kein Zacken aus der Krone, wenn man anerkennende Worte für seine NATO-Partner findet.
Klein: Und die sind bisher nicht erfolgt?
Polenz: Es hätte deutlicher werden können, insbesondere vom Außenminister.
Klein: Nun versucht man offenbar, nachträglich einen größeren Beitrag zu leisten. Bundeswehrsoldaten könnten als Aufbauhelfer eingesetzt werden in Libyen. Man werde das konstruktiv prüfen, das hört man aus der Bundesregierung bereits. Sollte das geschehen Ihrer Meinung nach?
Polenz: Nun, die Bundesregierung engagiert sich in Tunesien, in Ägypten mit Aufbauhilfe, mit Hilfe über die politischen Stiftungen, beispielsweise demokratische Parteien aufzubauen. Diese Angebote kann man auch Libyen machen und natürlich kann auch die deutsche Wirtschaft den einen oder anderen Beitrag leisten. Ich gehe auch davon aus, dass diese Hilfe willkommen sein wird. Allerdings kommt es jetzt erst einmal darauf an, dass der Nationale Übergangsrat Ruhe, Ordnung und Sicherheit herstellt. Das ist leichter gesagt als getan bei den vielen Waffen und bewaffneten Gruppen im Land.
Klein: Und Stichwort Bundeswehrsoldaten als Aufbauhelfer?
Polenz: Das sehe ich auf absehbare Zeit nicht, denn es geht jetzt nicht mehr um die NATO, es geht um die Vereinten Nationen, die diesen zivilen Einsatz sozusagen leiten müssen, und wenn es notwendig sein sollte, Friedenstruppen zur Stabilisierung in das Land zu schicken, weil der Übergangsrat es alleine nicht schafft, dann ist eher die Afrikanische Union und sind eher Nachbarstaaten gefordert, als etwa der Norden Europas.
Klein: Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag. Das Gespräch haben wir heute Morgen aufgezeichnet.