Syrien ist kein gordischer Knoten
Seit Monaten erreichen uns täglich schlechte Nachrichten aus Syrien. Was in Homs stattfindet, ist Bürgerkrieg. Wird sich dieser Bürgerkrieg auf weitere Teile des Landes ausdehnen? Kommen zu den über 7500 Toten tausende von weiteren Toten dazu? Droht ein Szenario wie seinerzeit im Libanon, nur noch schlimmer, weil Syrien größer ist?
Mit jedem Tag, den Assad länger im Amt ist, wächst diese Gefahr. Im Augenblick sieht es nicht so aus, als hätte der UN-Sonderbeauftragte Kofi Annan Erfolg mit seinem Versuch, Assad wenigstens von einer Art Waffenstillstand zu überzeugen. Und auch der oppositionelle syrische Nationalrat (NSC) hat schon abgewunken.
Mit Assad gebe es nichts zu bereden. Er müsse weg. NSC-Führer Dr. Burhan Ghalioun ist davon überzeugt, dass eine politische Lösung nur gelinge, wenn sie von militärischem Druck begleitet sei.
Derweil werden die Rufe nach einer militärischen Intervention lauter.
Bernhard-Henri Lévy zieht Verbindungen zu Srebrenica und vergleicht Homs mit Bengasi.
Doch besser ist es, den wirtschaftlichen und politischen Druck auf das Assad-Regime weiter zu erhöhen. Die EU hat die Sanktionen drastisch verschärft. Die Vermögenswerte der syrischen Zentralbank werden eingefroren, der Handel mit Gold und anderen Edelmetallen wird verboten. Ein Landeverbot für syrische Frachtflüge gehört dazu und restriktive Maßnahmen gegen sieben Minister der syrischen Regierung. Solange die Repression andauert, will die EU an ihrer Strategie festhalten, zusätzliche Sanktionen gegen das Regime zu verhängen. Auch die Arabische Liga hat sich entschieden, den wirtschaftlichen Druck auf Syrien zu erhöhen.
Der Druck zeigt Wirkung. Immer mehr Soldaten verweigern Assad die Gefolgschaft, laufen zur Opposition über oder setzen sich in Nachbarländer ab.
In der Zwischenzeit bereiten sich der oppositionelle NSC und die Kontaktgruppe auf ein Syrien nach Assad vor. Wie soll die künftige Verfassung aussehen und wer wird sie erarbeiten? Wie soll es gelingen, das multiethnische und multireligiöse Syrien friedlich zusammenzuhalten?
Schon jetzt lässt sich sagen, dass der NSC noch erweitert werden muss, um wirklich repräsentativ zusammengesetzt zu sein. Es fehlen Vertreter der Kurden. Und angesichts der Bedeutung der "Religionsfrage" sollten die großen Religionsgemeinschaften durch Beobachter vertreten sein. Außerdem sollten die Frauen stärker einbezogen werden, wenn über Weichenstellungen für Syriens Zukunft gesprochen wird.
Dabei gilt bei aller Notwendigkeit ausländischer Hilfe, die richtigerweise zur Gründung der Kontaktgruppe geführt hat, auch ausländischer Einflussnahme vorzubeugen.
Das ist leichter gesagt als getan. Schließlich liegt Syrien im Schnittpunkt nahezu aller Konfliktlinien im Nahen Osten und der Golfregion. Nicht zuletzt aufgrund dieses Interessengeflechts der Nachbarn lassen sich die Nebenwirkungen einer Militärintervention und mögliche Kettenreaktionen nicht vorhersagen. Auch dieser Aspekt sollte zur Vorsicht mahnen. Der syrische Konflikt ist kein gordischer Knoten. Und das Schwert ist kein ausreichendes Instrument, ihn zu lösen.
Ruprecht Polenz ist CDU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
Autor: Ruprecht Polenz
Redaktion: Thomas Kohlmann